Homeoffice

Der Remote-Kodex - erfolgreiche Selbstsorge in virtuellen Teams von Sven Schneider

Nicht selten stempeln Außenstehende die Arbeit von Remote-Workern und virtuellen Teams als entspannte und gemütliche Arbeitsweise im Home-Office ab. Insider wissen jedoch, dass Selbstbestimmung und Flexibilität in Remote-Teams nicht nur ein Segen, sondern auch ein Fluch sein können. So verspüren nicht wenige Mitglieder virtueller Teams einen hohen Druck zur Selbstdisziplinierung. Sie vermissen eine natürliche Distanz zwischen Arbeit und Privatleben und zugleich den engen Kontakt zu den Kolleg*innen im Team. Der Selbstsorge in virtuellen Teams kommt daher eine besondere Bedeutung zu.
Die acht Punkte des „Remote-Kodex“ können ermutigen, persönlichen Ressourcen und Bedürfnissen auch in der Zusammenarbeit auf Distanz die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken.

Ich befreie mich vom Disziplinierungsdruck – die Tagesstruktur

Die Herausforderung: Wer sich die eigene Arbeitszeit frei einteilen kann, besitzt ohne Zweifel den Komfort einer großen Flexibilität. Die damit verbundene Notwendigkeit, sich selbst zu disziplinieren, um es beispielsweise weder am Morgen zu ruhig angehen zu lassen, noch am Abend zu lange zu arbeiten, kann jedoch auch zur Belastung werden.

Die Lösung: Eine möglichst geregelte Tagesstruktur kann helfen, sich von inneren Motivationszwängen zu befreien. Sie gleicht zudem einer abendlichen „Abschaltautomatik“.
Probieren Sie deshalb, welcher Arbeitsrhythmus Ihrer inneren Uhr am besten entspricht, und versuchen Sie, diesen möglichst konsequent durchzuhalten.

Hilfreich können dazu auch Rituale sein, mit denen Sie für sich selbst zwischen Arbeits- und Freizeit unterscheiden, wie z. B. ein Ortswechsel oder der Wechsel zwischen Freizeitkleidung und Arbeitsoutfit. Auch ein Feierabendritual (z. B. Lieblingssnack, Tasse Tee, Laufrunde) kann helfen, den Übergang zwischen Arbeit und Privatleben bewusster zu begehen.

Ich schütze meine Arbeitskraft und gönne mir Auszeiten – die Ruhepausen

Die Herausforderung: Da der Arbeitsweg entfällt, sitzen Mitarbeiter*innen am Heimarbeitsplatz meist früher an der Arbeit; und – entgegen der Erwartung vieler Manager – auch länger. So haben die Baseler Wirtschaftswissenschaftler Kira Rupietta und Prof. Dr. Michael Beckmann in einer Studie herausgefunden, dass Mitarbeiter*innen im Home-Office durchschnittlich 2,5 Stunden mehr arbeiten als Mitarbeitende am klassischen Arbeitsplatz. Die Gründe dafür sind leicht zu finden. So sind viele Mitarbeiter*innen im heimischen Umfeld besser fokussiert. Die angenehme Atmosphäre der eigenen vier Wände fördert die Produktivität, zugleich fehlen Kolleg*innen, die für eine gesunde Mäßigung und Ablenkung sorgen. Dadurch entsteht häufig auch ein innerer Druck. Statt der geregelten Pause im Büro wird nach einem kurzen Kaffee-Stopp direkt weitergearbeitet. Auch die Mittagspause wird nicht selten vernachlässigt.

Die Lösung: Achten Sie auf ausreichende und regelmäßige Auszeiten. Gehen Sie z. B. vor die Tür, laufen Sie 10 Minuten an der frischen Luft oder gönnen Sie sich eine kurze Mittagsruhe. Vergessen Sie außerdem nicht eine gute Pausenmahlzeit, die Sie nach Möglichkeit jedoch nicht am Arbeitsplatz einnehmen sollten. So können Sie gedanklich besser zwischen Arbeit und Zuhause unterscheiden.

Ich gönne mir Zeiten mit meinem Team – die formelle und informelle Kommunikation

Die Herausforderung: Mitarbeiter*innen in Remote-Teams vermissen nicht selten das kollegiale Miteinander. Niederschwellige Kontaktstellen wie ein gemeinsames Gespräch in der Teeküche oder ein kurzer Austausch über die Schreibtische hinweg fehlen.
Ebenso entfällt die Möglichkeit für gemeinsame Pausen und unkomplizierte informelle Teamtreffen.

Die Lösung: Gönnen Sie sich Zeit, zum Austausch mit Ihren Kolleg*innen, ganz gleich ob Sie dafür ein Chat-Tool nutzen, oder nach einer telefonischen Besprechungen noch über private Angelegenheiten oder die Ergebnisse des letzten Bundesliga-Spieltages sprechen.

Befreien Sie sich dabei auch vom schlechten Gewissen, unproduktiv zu sein. Der Austausch mit den Kolleg*innen im virtuellen Team ist essentiell für ein gutes Wir-Gefühl, das letztlich die Effektivität des gesamten Teams steigert.
Vorsicht: Achten Sie auf eine ausgewogene Kommunikation mit dem gesamten Team. Vermeiden Sie allzu einseitige Kontakte.

Ich begegne meinen Kollegen mit einer positiven Einstellung – die innere Haltung

Die Herausforderung: Anders als im gemeinsamen Büro können Kolleg*innen in virtuellen Teams nur schlecht einen Eindruck davon bekommen, wie es um die Verfassung der anderen Teammitglieder steht. Nonverbale Kommunikationswege sind reduziert.
Hinzu kommen mögliche Störfaktoren im heimischen Umfeld, von denen das Team jedoch meist nichts wissen kann. Vielleicht wurde z. B. ein Mitarbeitender kurz vor der (Video-)Konferenz noch stark von den Kindern beansprucht, der Hund ist krank oder die Handwerker im Haus.

Die Lösung: Ihr Gegenüber hört und spürt, wie Sie sprechen, selbst wenn er Sie nicht sehen kann. Bemühen Sie sich daher um eine positive Haltung gegenüber Ihren Kolleg*innen, Geschäftspartner*innen und Kund*innen. Lächeln Sie, denn auch das überträgt sich. Ihr Gegenüber kann nicht ahnen, welche Themen Sie vielleicht noch kurz vor dem Gespräch beschäftigt und belastet haben.
Ist die Belastung zu groß, machen Sie Ihren Teamkolleg*innen gegenüber transparent, warum Sie schlechter verfasst sind als an anderen Tagen. So kann Verständnis entstehen, Missverständnisse werden vermieden.

Ich akzeptiere meine Tiefpunkte – die Selbstentlastung

Die Herausforderung: Jeder und jede hat müde Tage, an denen das eigene Leistungsniveau geringer ausfällt als an anderen Tagen. Während Mitarbeiter*innen an klassischen Arbeitsplätzen es dann oft einfach etwas ruhiger angehen lassen – die Arbeitszeit läuft ja trotzdem – , plagt Mitarbeiter*innen in Remote-Teams oft das schlechte Gewissen. Sie unterbrechen Ihre Arbeit häufiger oder erfassen Zeiten nicht, in denen Sie unproduktiv oder mit einer Nebentätigkeit beschäftigt waren.

Die Lösung: Seien Sie nicht zu streng mit sich. Kein Chef hat einen Anspruch auf Mitarbeiter*innen, die zu 100% nur gut gelaunt und zu Höchstleistungen aufgelegt sind. Akzeptieren Sie, dass es Tage geben kann, an denen Ihre Effektivität leidet.
Sollte Ihr Kopf zu voll mit anderen Themen sein, unterbrechen Sie nach Möglichkeit Ihre Arbeit, und versuchen Sie, die Themen zu lösen oder zumindest eine Lösung für den Moment zu finden. Nur so können Sie konzentriert und zufrieden weiterarbeiten.

Ich bin milde mit dem Unperfekten – der Arbeitsort „Zuhause“

Das Problem: Für viele Remote-Worker bedeutet Heimarbeit nicht Entlastung, sondern oftmals auch Mehrbelastung. So müssen viele Mitarbeiter*innen Familien- und Arbeitsleben kreativ vereinbaren. Da schreit z. B. das Kind mitten in einer Konzentrationsphase oder der Hund bellt im Hintergrund der Telefonkonferenz.

Die Lösung: Machen Sie sich bewusst, dass alle Teammitglieder in der gleichen Situation sind, wenn sie von zu Hause arbeiten. Doch das Küchenregal im Hintergrund der Videokonferenz tut der Professionalität keinen Abbruch. Im Gegenteil: Die Arbeit im häuslichen Umfeld macht deutlich, dass alle Teammitglieder auch Menschen sind, deren Leben nicht nur von Arbeit bestimmt ist.
Verständigen Sie sich mit Ihren Kolleg*innen aber auch darauf, dass der Einblick ins heimische Wohnumfeld ein Ausdruck von Vertrauen ist. Daher sollte es z. B. auch in Ordnung sein, an einem Meeting auch einmal ohne Video teilzunehmen.

Ich stehe zu meinen Belastungen – der ehrliche Selbstschutz

Das Problem: Während Vorgesetzte am klassischen Arbeitsplatz ihre Mitarbeiter*innen regemäßig zu Gesicht bekommen und so – sofern sie ein entsprechendes Gespür besitzen – leichter erkennen können, wenn Teammitglieder überlastet sind, ist es für Teamleitungen von virtuellen Teams ungleich schwerer, Überforderungen ihrer Mitarbeiter*innen aufzudecken und entsprechende Hilfestellungen anzubieten.

Die Lösung: Die Arbeit in Remote-Teams ist eine ganz eigene Erfahrung, die nicht ohne weiteres mit der Tätigkeit am klassischen Arbeitsplatz verglichen werden kann. Daher ist es völlig normal, wenn Sie sich vor allem am Beginn Ihrer Remote-Tätigkeit überlastet fühlen. Gleiches gilt bei der Übernahme neuer Aufgaben oder bei Projekten, die nicht wie gewünscht verlaufen. Ebenso können auch private Belastungen zur Überlastung am Arbeitsplatz führen. Warten Sie nicht, bis Ihr Vorgesetzter Ihnen die Entlastungswünsche von den Augen abliest. Kommunizieren Sie offen und seien Sie nicht zu stolz, um Hilfestellung, Unterstützung oder eine Neustrukturierung der Aufgabenfelder zu bitten.

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