20201209 Digitalisierung

Hört mir doch auf mit Digitalisierung! von Sven Schneider

Ständig die gleiche Leier: Unternehmen müssen digitaler werden, die Wirtschaft soll sich digitalisieren und für die Bildung wurde extra ein Digitalpakt geschnürt.
Aber was bitte meint Digitalisierung?
Ist eine Schule schon digital, wenn der altehrwürdige Overhead-Projektor durch einen Beamer oder sogar ein Smartboard ersetzt wurde? Oder ist es das flächendeckende WLAN in allen Klassenräumen, das aus einem alten Schulbunker ein digitales Schulhaus macht? Vielleicht gilt der Schulbetrieb aber auch erst als digitalisiertes Vorbild, wenn die Kommunikation zwischen Lehrenden, Lernenden und Eltern über eine eigene Kommunikations-App ermöglicht wird?
Was bitte meint Digitalisierung also genau? Oder digitale Transformation? Oder digital?

 

Ein Exkurs in meine Kindheit: Analog oder digital? Mir doch egal!

Ich bin Baujahr 1980 und stehe damit irgendwo zwischen Generation X und Generation Y.
Wo genau ist aber eigentlich auch egal. Wichtiger dagegen ist, dass ich, seitdem ich denken kann, schon immer mit Computern zu tun hatte. Bei der Gelegenheit: Danke Papa!
Digitale Medien sind für mich also nichts Besonderes, sie sind auch nur Medien.
Für mich ist es also relativ gleich, ob ich ein Buch aus Papier oder ein E-Book aus Bits und Bytes lese. Beides ist für mich normal. Beides kenne ich. Ich habe noch auf Butterbrotpapier Umrisse von Ländern aus dem Atlas abgepaust, aber auch in BTX-Chats Unterhaltungen geführt. Ich war stolz auf mein 14400er-Modem und auf meinen ersten PC, den ich selbst zusammengebaut hatte. Er hat sogar funktioniert.
Ich komme also aus einer Zeit, in der PCs und Internet zur Normalität, zum Mainstream wurden.
EDV wurde zu IT, Personal zu Ressourcen und Software ein Teil unseres Lebens.

 

Digitalisierung: Ein Wort, aber kein Wert!

Vielleicht erklärt dieser kleine Exkurs in meine Kindheit, warum es für mich befremdlich ist, wenn Menschen so verheißungsvoll von der Digitalisierung sprechen, als wäre sie der Heilsbringer schlechthin.
Wo waren diese Menschen in den letzten dreißig Jahren? In einer Höhle?
In den letzten 20 Jahren habe ich an unzähligen digitalen Lösungen mitgewirkt. Ich tue diese Arbeit noch immer mit Begeisterung und bin selbstverständlich davon überzeugt, dass diese digitalen Lösungen sehr gut sind.
Aber: All diese Lösungen waren bzw. sind nicht deshalb gut, weil sie digital waren / sind, sondern weil sie das Leben vereinfachen. Genau so möchte ich die Sache gerne angehen.
Digitalisierung ist kein Wert an sich. Etwas ist nicht per se besser, weil es digital ist.
Es ist besser, wenn es das Leben von Menschen vereinfacht.

 

Menschen wollen nicht digitalisiert werden.

Es ist auffällig, dass gerade in Deutschland besonders gerne und viel von Digitalisierung gesprochen wird.
Dies zeigt, wie stark Deutschland die Entwicklungen der letzten Jahre verschlafen hat. Was in anderen Ländern längst selbstverständlich ist, gilt in Deutschland immer noch als abenteuerliches Neuland.
Deswegen aber in ein Digitalisierungs-Mantra zu verfallen, ist der falsche Weg, zumal digitale Lösungen auch bei uns in vielen Lebensbereichen vom Kleinkind bis zum Rentner längst ein fester Bestandteil des Lebens geworden sind.
Es kann und darf nicht das Ziel sein, Dinge und v. a. Menschen mit aller Gewalt digitalisieren zu wollen.
Menschen wollen nicht digitalisiert werden. Menschen wollen keine Ressourcen sein.
Wertvoll sind demnach die Lösungen, die Menschen einen Vorteil in ihrem Alltag bieten, wie das Bild von dem eigenen Enkel auf dem Smartphone oder eine intelligente Funktion in der Software, die mir jeden Tag 15 Minuten mehr Freizeit schenkt. Dafür lohnt es sich zu arbeiten. Dafür setze auch ich mich gerne ein.

 

Von der Digitalisierungs-Zentrierung zur Mensch-Zentrierung

Wie schön wäre es also, wenn wir damit aufhören könnten, Digitalisierung als etwas Neues oder als einen isolierten Fremdkörper zu beschreiben. Im Mittelpunkt steht der Mensch, nicht die Technologie.
Die Vergangenheit zeigt uns viele Beispiele von neuen Dingen, deren übertriebener Einsatz zur Ernüchterung führte. Das Digitalisierungs-Credo führt deshalb nicht weiter. Was wir brauchen sind Lösungen, die das Leben von Menschen vereinfachen. Gerne auch digital, aber bitte ohne Digitalisierungswahn. Und bitte ganz ohne Buzzwords.

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