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Niemand mag Veränderungen! – So können Veränderungsprozesse dennoch gelingen von Sven Schneider

„Nichts ist so beständig wie der Wandel“, sagte einst Heraklit. Ob der Philosoph vor 2500 Jahren bereits ahnen konnte, wie gut sein Ausspruch einmal in unsere Zeit (Stichwort: VUKA) passen sollte? So zeigen gerade die aktuellen Krisen, dass Veränderungen heute nicht die Ausnahme, sondern der neue Normalfall geworden sind. Unternehmen wissen: Anpassen heißt Überleben. Die Veränderungsbereitschaft der Mitarbeitenden wird damit jedoch auf eine permanente Belastungsprobe gestellt. Dabei wird ausgerechnet einer elementaren Erkenntnis kaum Rechnung getragen: Der Mensch mag keine Veränderungen. 
Wie also können Veränderungsprozesse so gestaltet werden, dass sie die notwendige Flexibilität ermöglichen, aber dennoch dem menschlichen Wunsch nach Beständigkeit gerecht werden? Eine Frage, zu der die nachfolgenden Gedanken zwar keine abschließende Antwort, aber einige Inspirationen bieten.

 

Warum mögen Menschen keine Veränderungen?

Es braucht nicht erst den Blick auf die Stereotypen der Steinzeit, in der sich der Mensch mit dem Bau von Höhlen und Behausungen Beständigkeit verschaffen wollte, um zu erkennen, dass der Mensch ein auf Sicherheit ausgerichtetes Wesen ist. Doch die Scheu vor Veränderungsprozessen – gerade im Arbeitskontext – reicht weiter als eine natürliche Skepsis und lässt sich gleich mehrfach begründen:

  • Der Wunsch nach Sicherheit: „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier“, sagt ein Sprichwort. Tatsächlich versucht der Mensch, sein Leben in verlässlichen Abläufen zu gestalten. Alltagsgewohnheiten und -rituale schaffen Verbindlichkeiten, die wiederum Halt und Orientierung für das Miteinander bieten. Veränderungen gefährden diese Sicherheit. Sie torpedieren haltgebende Routinen und fordern den Menschen auf, neue Verhaltensweisen zu entwickeln. Daher bedeuten Veränderungen, so sinnvoll sie auch sein mögen, immer Aufwand, Umbruch und Unsicherheit – Momente, die der Mensch naturgemäß lieber vermeiden möchte.
  • Das negative Image von Veränderungen: Wie in vielen anderen Lebensbereichen so werden auch bei Veränderungsprozessen vor allem die Negativerfahrungen bekannt. Ein Beispiel kann eine neue Software sein, welche die Mitarbeitenden nach einer übereilten Einführung eher als „Verkomplizierung“ statt als Entlastung erleben, oder auch Change-Prozesse im HR-Bereich, die zu starken Umstrukturierungen oder Personalabbau führen. Veränderungen, die positiv, entlastend und still verlaufen, werden dagegen nur selten thematisiert.
  • Der Spezialfall „große Unternehmen“: Tanker wenden langsam. Deshalb sind Veränderungsprozesse in großen Unternehmen besonders herausfordernd. Nicht selten werden sie deshalb als träge und holprig erlebt. Oft lassen sich dabei zwei zentrale Probleme erkennen: Bei Veränderungen, die das gesamte Unternehmen betreffen, sind häufig nur die Entscheider selbst unmittelbar in den Prozess involviert, während den meisten Mitarbeitenden die Veränderungen lediglich – wie ein Damokles-Schwert – angekündigt werden. Die Folge: Menschen fühlen sich übergangen und erleben die Veränderung als verordnet und aufgezwungen.
    Verändern sich dagegen lediglich einzelne Bereiche, ohne dass dies jedoch gut abgestimmt ist, so kann dies zu Interessenskollisionen mit anderen Bereichen führen oder sogar dazu, dass sich verschiedene Abteilungen gegensätzlich verändern. Die Veränderung wird dann nicht nur als chaotisch erlebt, sie kann auch ein neues internes Konkurrenzdenken befeuern.
  • Unterschiedliche Menschentypen: Zum Glück sind Menschen verschieden. Das betrifft auch den Umgang mit Veränderungen. Dennoch wird bei Change-Prozessen viel zu oft vorausgesetzt, dass alle Mitarbeitenden veränderungswillig seien oder es zu sein hätten. Den Bedürfnissen sicherheitsliebender Menschen, die für eine große Kontinuität und Konstanz stehen, wird dabei nur wenig Beachtung geschenkt. 
Pioniere, Siedler und Stadtplaner – die drei „Veränderungstypen“ nach Simon Wardley 

Das PST-Modell von Simon Wardley unterscheidet drei unterschiedliche Typen im Hinblick auf Innovations- und Veränderungsprozesse, die sich im Idealfall gegenseitig ergänzen und unterstützen:

  • Pioniere: Sie wagen sich auf dünnes Eis vor und lieben das Ungewisse. Pioniere haben Freude daran, neue Wege und Konzepte zu erproben. Sie scheitern oft, lassen sich davon jedoch nicht entmutigen. So sind Pioniere mit ihren Ideen-Experimenten die Wegbereiter für spätere Erfolge. Ihr Spezialgebiet ist daher die Ideation, also die Findung neuer Ideen.
  • Siedler: Sie sind perfekt darin, die Ideen der Pioniere aufzugreifen und daraus erste MVPs und Prototypen zu entwickeln. Dabei suchen sie den Dialog mit allen am Prozess Beteiligten, um aus der ersten Idee Stück für Stück ein handfestes Konzept zu gestalten. Ihr Expertenbereich ist die Invention, also die Etablierung einer neuen Idee.
  • Städteplaner: Sie sind die „Industrialisierungsprofis“ in jedem Innovationsprozess. Sie gestalten Prozesse schneller, effektiver und besser und machen das Produkt so zukunftsfähig. Städteplaner führen die Ideen der Pioniere in die Blütezeit, die Exploitation.

Quelle: Start small, scale fast

 

Pioniere, Siedler und Stadtplaner

 

Wie gelingen Veränderungsprozesse?

„Verändern heißt verbessern“ – Wo Change-Prozesse diesem Leitsatz Rechnung tragen, kann es gelingen, Menschen die Sorge vor Veränderungen zu nehmen und sie von den Chancen des Wandels zu überzeugen. Dazu sollten jedoch einige wichtige Aspekte beachtet werden:

  • Veränderungsziele selbstkritisch hinterfragen: In vielen Unternehmen lässt sich ein interessantes Phänomen beobachten: Mitarbeitende fürchten die Tage, an denen der Vorgesetzte von einer Fortbildung zurückkehrt. Sie warten gespannt, welche fixe Ideen ihr Chef aufgeschnappt hat und nun möglichst eilig umsetzen möchte. Veränderungsideen sollten daher stets selbstkritisch hinterfragt werden: Was ist die Motivation zur Veränderung? Ist die Veränderung nur eine persönliche „Lieblingsidee“? Ist sie sogar lediglich ihr eigener Selbstzweck, weil sie im Trend liegt und als chic gilt? Oder passt die angedachte Veränderung tatsächlich zum Unternehmen und kann durch sie eine echte, weitreichende Verbesserung für alle erreicht werden, die von ihr betroffen sind.

  • Die Auswirkung von Veränderungen ernst nehmen: Veränderungen sind nicht banal. Sie bringen Ungewissheiten und Unsicherheiten mit sich, die auf den ersten Blick oftmals noch gar nicht in vollem Ausmaß abgeschätzt werden können. Die gründliche Ermittlung aller „Betroffenen“ und eine empathische Wahrnehmung der möglichen (auch emotionalen) Auswirkungen für ebendiese sind daher essenziell am Beginn jedes Veränderungsprozesses.
  • Kommunikation als Schlüsselfaktor nutzen: Informationen sind ein zentrales Element in jedem Veränderungsprozess. Denn nur, wenn Menschen wissen, wann, warum und wie etwas verändert werden soll, können sie den Sinn der Veränderung erkennen und einen eigenen Beitrag zu deren Mitgestaltung leisten. Unsicherheiten und Spekulationen werden abgebaut. Die Antwort auf die Frage, wer wann auf welche Weise im Prozess informiert oder noch besser beteiligt werden muss, ist damit einer der bedeutendsten Schritte für jede Veränderung. Wichtig: Informationen gehören an den Beginn und nicht erst an das Ende des Veränderungsprozesses.

Diese Sätze sollten Sie als Vorgesetzte*r in Veränderungsprozessen vermeiden:

„Da wird sich bald was ändern“ – Veränderungen anzukündigen, ohne konkret zu werden, sorgt für unnötige Unsicherheit.
Besser: Sagen Sie nichts.

„Dazu kann ich noch nichts sagen“ – Da sie selbst oft nicht wissen, wann und wie sich die Veränderung genau ergeben wird, schweigen viele Vorgesetzte, um sich nicht angreifbar zu machen. Das kann unnötig Befürchtungen und Spekulationen befeuern.
Besser: Sagen Sie, was Sie im Moment sagen können, und begründen Sie, warum Sie gegebenenfalls keine Auskunft geben können.

„Natürlich werden wir Sie immer wieder informieren“ – Versprechen Sie nichts, das Sie nicht halten können. Seien Sie sich zudem bewusst, dass derartige „Informationsversprechen“ Prozesse sehr groß und wuchtig wirken lassen.
Besser: Informieren Sie ohne Ankündigung mit konkreten und verlässlichen Informationen.

„Wir müssen die Leute mitnehmen“ – Menschen möchten nicht auf einen Kurs „aufgegleist“ werden, den sie nicht mitbestimmen konnten. Eine bloße „Mitfahrgelegenheit“ genügt nicht. Denn Menschen wollen ernst genommen werden, mitbestimmen und sich beteiligen.
Besser: Nennen Sie konkrete Beteiligungsmöglichkeiten.

  • Partizipationsmöglichkeiten schaffen: Menschen, die sich beteiligt fühlen, haben nicht den Eindruck, dass eine Veränderung einfach so über sie hereinbricht. Daher ist es immer empfehlenswert, Betroffene zu Beteiligten zu machen, um so durch Partizipation Gefühlen der Unsicherheit und Ohnmacht entgegenzuwirken. Zudem schafft die Teilhabe am Prozess eine bessere Akzeptanz der Veränderung. Die Beteiligung kann dabei in vielen Facetten ermöglicht werden: informieren, befragen, an Change Teams beteiligen. Zugleich sollte jedoch gut abgewogen werden, wie das Miteinander von Teilgebenden und Teilhabenden so gestaltet werden kann, dass Partizipation ermöglicht wird, Prozesse aber dennoch schlank und effizient gestaltet werden können.
  • Transparent und klar informieren: Menschen erleben Veränderungen als weniger bedrohlich, wenn sie deren Ausmaß umreißen können. Deshalb sollten Sie den Ablauf von Veränderungsprozessen transparent darstellen. Beschreiben Sie, in welchen Schritten der Prozess ablaufen wird und wann dieser endet. Verwenden Sie zudem passende Begrifflichkeiten. Machen Sie sich bewusst, dass alles, was einmal gesagt wurde, in den Köpfen bleibt. Bauschen Sie eine kleine Veränderung also nicht zu einer „Transformation“ auf, spielen Sie große Veränderungen aber auch nicht als eine „kleinen Anpassung“ herunter.
  • Für die Attraktivität der Veränderung werben: Die Veränderungsbereitschaft von Menschen ist besonders groß, wenn sie vom Mehrwert einer Veränderung überzeugt sind. Deshalb müssen die Ziele einer Veränderung anschaulich – am besten mithilfe der SMART-Formel – verdeutlicht werden: Warum ist die Veränderung notwendig? Was wird durch sie konkret verbessert?
  • Den Veränderungsprozess kontinuierlich überprüfen: Veränderungen ziehen Veränderungen an. So ergeben sich nicht selten auch innerhalb von Veränderungsprozessen weitere Kurskorrekturen. Probleme entstehen und müssen gelöst werden. Längere Prozesse bergen dabei zusätzlich die Gefahr eines Tunnelblicks: Alle fokussieren sich so stark auf die angestoßene Veränderung, dass Veränderungen in der Welt um sie herum übersehen werden. Veränderungen müssen deshalb immer wieder selbstkritisch hinterfragt werden: Ist der Prozess noch passend, um das angestrebte Ziel zu erreichen? Welche Korrekturen sind notwendig? Welche neu aufgekommenen Ideen oder Rahmenbedingungen müssen beachtet werden?

Niemand mag Veränderungen, aber jeder mag Verbesserungen! – Bei allen Veränderungen ist es daher essenziell, durch Kommunikation und Partizipation den Blick der Beteiligten weg von den Unsicherheiten hin zu den Chancen einer Veränderung zu lenken. Gelingt dies, so werden Menschen auch weitreichende Neuerungen gerne unterstützen, da sie ein sinnvolles Ziel in der Veränderung erkennen können.

 

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