Das tote „Strategie-Pferd“ der Dakota-Indianer hat längst Legendenstatus erreicht. Viele helle Köpfe präsentieren äußerst humorvolle Strategien, um das Ableben des toten Pferdes zu verdrängen und das Absteigen so möglichst lange zu verzögern.
Doch warum fällt das Aussteigen aus überholten Strategieprozessen so verflixt schwer? Eine mögliche Antwort bieten sechs „Strategie-Fallgruben“ zusammen mit sechs Anregungen, um scheiternde Strategien zu erkennen und zu entschärfen.
1. Falle: „Was viel kostet, ist viel wert!“
Die Entwicklung neuer Strategien ist ein aufwendiges und teures Vorhaben, an dem neben eigenen Mitarbeitenden meist auch externe Beratungsunternehmen beteiligt sind. Die damit verbundenen hohen Kosten führen bei vielen Verantwortlichen nicht selten zu einer „Budgetgläubigkeit“: Der Prozess wurde so groß aufgezogen, der kann nicht scheitern. Viele Verantwortliche führen einmal begonnene strategische Maßnahmen daher auch bei deutlichen Anzeichen einer Zielverfehlung stoisch weiter, koste es, was es wolle. Nicht selten werden noch zusätzliche Geldmittel investiert – eine Sunk Cost Fallacy droht.
Das Werkzeug zur Entschärfung: „Agile KPI“ nutzen
Einer der sichersten Wege, um eine drohende Schieflage oder sogar das Scheitern eines Strategieprojektes möglichst frühzeitig zu erkennen, sind KPI.
Sie können wie ein Seismograf helfen, mögliche Bedrohungen zu erfassen. Zugleich erleichtern sie das Treffen von rationalen, weil faktenbasierten, Entscheidungen für notwendige Kurskorrekturen.
Positiv dabei ist, dass KPI sowohl in klassischen Unternehmensstrategien als auch in agilen Prozessen funktionieren.
In der Agilität bieten KPI zudem die Chance, eine vorausschauende Planung und eine flexible Gestaltung in einen harmonischen Einklang zu bringen, wie unsere Artikelserie „KPIs als Chance in der agilen Produktentwicklung“ zeigt.
2. Falle: „Komplexe Prozesse brauchen einfach ihre Zeit.“
Aufwendigen Prozessen mit vielen beteiligten Akteuren droht eine weitere Gefahr: Sie sind zu langsam und laufen daher den stetig wechselnden Anforderungen einer VUCA-Welt fast immer hinterher. Die Strategie antwortet so auf Fragen, die schon längst nicht mehr gestellt werden.
Das Werkzeug zur Entschärfung: Ziele greifbar gestalten bei weiten Gestaltungsspielräumen
Sollen Strategien auf der Höhe der Zeit entwickelt werden, erscheinen vor allem zwei Faktoren wichtig:
Zum einen sollte die Zielsetzung für alle Beteiligten prägnant formuliert werden – und frei von Plattitüden wie z. B. „Wir wollen zukunftsfähiger werden“ oder „Wir wollen innovativere Prozesse gestalten“ sein, um durch eine attraktive Veränderungsvision einem Ausfranzen des Strategieprozesses und einem Verzetteln in Nebenschauplätzen vorzubeugen.
Zum anderen sollten klare Ziele nicht in allzu statische Festlungen der strategischen Maßnahmen münden, damit das Unternehmen auch innerhalb des Strategieprozesses flexibel auf eine veränderte Situation reagieren kann.
3. Falle: „Die Experten haben das aber so gesagt.“
Die Beteiligung externer Expertinnen und Experten löst häufig eine weitere Fallgrube aus: den „blinden Beratergehorsam“. Was die meist teuer eingekauften Beratungsprofis sagen, muss schließlich stimmen. Eigene Bedenken werden bei den Verantwortlichen so oft auch dann noch zurückgestellt, wenn der Eisberg voraus bereits deutlich zu erkennen ist. Schließlich ist das Unternehmen nicht das erste Schiff, das die erfahrenen Profis durch schwierige Strategiewasser lenken. Bestimmt haben die externen Expertinnen und Experten also auch einen raffinierten methodischen „Kniff“ parat, mit dem sie das Ruder auch in letzter Minute noch herumreißen werden. Schiffbruch droht.
Das Werkzeug zur Entschärfung: Weiterhin selbstständig denken
Was wie ein banaler Rat wirkt, kann viele strategische Prozesse vor größeren Schäden bewahren. Denn auch wenn der Expertise der ausgewählten „Change-Profis“ einiges zugetraut werden darf, so passt eine externe Beratung nicht immer zu den internen Bedürfnissen. Zudem bietet die externe Perspektive der Beratungsexpertinnen und -experten zwar viele Chancen, ihr fehlt jedoch die Ergänzung durch einen wachsamen Blick auf interne Notwendigkeiten. Daher sollte die eigene Expertise nicht unterschätzt und entsprechende Bedenken und Zweifel zeitnah angesprochen werden. Externe Experten sollten in diesem Zusammenhang zudem darauf achten, nicht nur zu beraten, sondern die Beteiligten durch ein Coaching zur „Selbstveränderung“ zu befähigen.
4. Falle: „Die Geschäftsführung wollte etwas Neues.“
Viele Veränderungen werden von oben herab angeordnet, ohne dass sich die Mitarbeitenden informiert oder gar involviert fühlen. Dies kann mitunter zu einer Ablehnung und damit auch zum Scheitern des ganzen Prozesses führen. Verschärft wird dies bei strategischen Veränderungen, die einer „Lieblingsidee“ der Geschäftsführung gleichkommen, deren Sinn und Nutzen im Unternehmen jedoch nicht erkannt wird.
Das Werkzeug zur Entschärfung: Kommunikation sicherstellen, Partizipation ermöglichen
Sollen strategische Prozesse schlank gehalten werden, so bedingt dies, dass nicht alle Mitarbeitenden an strategischen Veränderungsprozessen beteiligt werden können.
Doch auch wenn lediglich eine Partizipation in abgestufter Form (z. B. durch Interviews, Befragungen etc.) möglich ist, so sollte dennoch auf einen guten Informationsfluss zum Strategieprozess geachtet werden. Strategische Ideen aus Angst vor Kritik geheim zu halten, erweist sich dabei niemals als guter Rat. Viele Unternehmen haben außerdem gute Erfahrungen damit gemacht, Mitarbeitende offen zur Mitarbeit an Veränderungsprozessen einzuladen, da freiwillig am Prozess beteiligte und somit intrinsisch motivierte Mitarbeitende mehr bewegen als andere.
5. Falle: „Strategische Fragen brauchen Sie nicht zu interessieren.“
Ähnlich problematisch wie von oben angeordnete Strategien sind auch Strategieprozesse, an denen lediglich ein Unternehmensteil beteiligt ist, so als könne man einen Strategieprozess zwar für das ganze Unternehmen entwickeln, ohne jedoch alle betroffenen Unternehmensbereiche entsprechend an den strategischen Überlegungen zu beteiligen.
Das Werkzeug zur Entschärfung: Mit Conway's Law Silos überwinden
Im Jahr 1999 ging die knapp 200 Milliarden USD teure NASA-Sonde „Mars Climate Orbiter“ in den Weiten des Alls verloren, weil die beteiligten Entwicklungsteams die Software in unterschiedlichen Maßeinheiten programmiert hatten.
Ein scheinbar banaler Kommunikationsfehler, der in ähnlicher Form jedoch auch in vielen strategischen Prozessen zu beobachten ist.
Verantwortliche in Strategieprozessen sind daher gut beraten, gegen Silodenken anzugehen und auf einen guten Informationsfluss zu achten zwischen allen Beteiligten. Auf viele Strategieprozesse können dabei auch die Erkenntnisse von Conway’s Law übertragen werden.
Conway’s Law:
Das nach dem US-amerikanischen Entwickler Melvin Edward Conway benannte Gesetz besagt, dass jedes System, das in einer Organisation entwickelt wird, die Kommunikationsstruktur im Unternehmen kopiert.
Verkürzt gesagt, gilt also: Ein System ist immer nur so gut wie die Kommunikation der beteiligten Teams. Bleiben diese weitestgehend unter sich, so wird auch das Endprodukt aus entsprechend vielen Subsystemen bestehen. Ein guter Informationsfluss ist daher essenziell für ein gutes Ergebnis.
6. Falle: „Da wird schon einer was sagen.“
Drohen Prozesse zu scheitern, zeigen sich oft etliche „Besserwisser“, die das Scheitern des Vorhabens schon lange geahnt haben. Stellt man jedoch die Frage, warum niemand etwas gesagt hat, wird es schnell still. Damit ist die fehlende offene Kritik bei kränkelnden Strategien aber auch ein wichtiges Indiz für noch schwerere Diagnosen, wie eine angeschlagene Kommunikations- und Fehlerkultur im Unternehmen.
Das Werkzeug zur Entschärfung: Die Kommunikation im Team stärken
Eine positive Kommunikationskultur ist der beste Werkzeugkoffer zur Entschärfung vieler Fallen im Unternehmen. Trauen sich alle Teammitglieder, aufziehende Probleme oder Kritik offen anzusprechen, so kann dies vielen Schieflagen in Veränderungsprozessen vorbeugen. Eine besondere Bedeutung kommt in der Agilität dabei den Retrospektiven zu, die einen verlässlichen Raum für Austausch und Feedback bieten.
Mit ihrem Fokus auf eine gute Kommunikation, vereinfachte Prozesse und motivierte Individuen kann sich so gerade die agile Arbeitsweise als wirksamer Werkzeugkoffer erweisen, der das Auffinden von Fallen in Strategieprozessen erleichtert und das notwendige Handwerkszeug für passende Maßnahmen zu deren Entschärfung bietet.