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Vom Fehler im System zum Fehler mit System - 6 Anregungen zur dritten Dimension der Fehlerkultur von Sven Schneider

Fehler sind nicht schön, nicht angenehm und nicht bequem. Aber Fehler sind menschlich. Arbeitsteams sind deshalb gut beraten, einen positiven Umgang mit Fehlern einzuüben.

Neben dem persönlichen Umgang mit Fehlern und den Fehlern in Teamprozessen, als den ersten beiden Dimensionen einer fehlertoleranten Arbeitskultur, sehen sich Entwicklungsteams dabei mit einer weiteren dritten Fehlerquelle konfrontiert: Den Fehlern am Produkt selbst, die sich meistens als unerwartetes oder unerwünschtes Verhalten der Software äußern. Da derartige Fehler kein Sonderfall, sondern Alltag im Entwicklungsprozess sind, sollten Teams einen souveränen Umgang mit „Produktfehlern“ einüben.

Sechs Anregungen können dabei eine Hilfestellung bieten. Sie lassen sich in den meisten Fällen zudem nicht nur auf die Entwicklung von Software, sondern auch auf den alltäglichen, zwischenmenschlichen Umgang mit Fehlern übertragen.

 

1. Gehen Sie realistisch mit Fehlern um.

In Entwicklungsteams ist häufig das Phänomen zu beobachten, dass Fehler innerhalb des Sprints einfach mitbehoben werden sollen; ein ebenso ehrgeiziges wie meist unrealistisches Unterfangen. Denn der Aufwand zur Behebung von Fehlern kann häufig nur schlecht abgeschätzt werden. Fehler müssen deshalb im Product Backlog notiert werden. So kann auch der für die Fehlerbehebung benötigte Aufwand besser geplant werden. Fehler in einer Produktionsumgebung oder an den eigentlichen Umfängen einer Story des Sprints sind davon natürlich ausgenommen (vgl. auch Punkt 4).

 

2. Betrachten Sie Fehler nicht vorschnell als „schon gelöst“.

Eine Studie des IBM Systems Sciences Institute legt dar, dass die Lösung von Bugs im Wartungsmodus 100-mal kostspieliger ist als die Fehlerbehebung in der Entwicklungsphase einer Software. Aussagen wie „Das kriegen wir schon noch gelöst.“ sind im Umgang mit Fehlern demnach kein guter Ratgeber. Vielmehr müssen alle fehlerbehafteten User Storys im Product Backlog offenbleiben, auch wenn die Fehler nur verhältnismäßig klein erscheinen.

 

3. Behalten Sie die Fehlergeschichte im Blick.

Wird die Behebung von Fehlern auf die lange Bank geschoben, so bringt dies einen weiteren Nachteil mit sich: Die eigentliche Fehlerursache wird immer schwerer zu finden. Das Problem verschärft sich dabei umso stärker, je mehr Personen oder Teams im weiteren Entwicklungsprozess mit der Software arbeiten. Nicht selten muss sich dann sogar ein anderes Team mit Fehlerbehebung aufhalten als das ursprüngliche Team, in dem der Fehler erstmalig aufgetreten ist. Deshalb sollten Fehler stets so zeitnah wie möglich gelöst werden. Nur so kann einer drohenden Legacy-Problematik vorgebeugt und die Anhäufung einer technischen Schuld vermieden werden.

 

4. Sortieren Sie Fehler nach Dringlichkeit.

Für den souveränen Umgang mit Fehlern sollten diese entsprechend ihren Folgen und ihrer Dringlichkeit bearbeitet werden.

So können Fehler mit einer vergleichsweise niedrigen Dringlichkeit gut in den Product Backlog übernommen und später bearbeitet werden. Fehler mit einer hohen Dringlichkeit, die beispielsweise die Arbeitsabläufe des Teams oder der Stakeholder beeinflussen, sollten dagegen immer sofort erledigt werden, auch wenn dafür weniger User Storys im Sprint abgearbeitet werden können. Schließlich kann es sogar Fehler geben, deren Auswirkungen so gravierend sind, dass dafür die Inhalte des gesamten Sprints neu geordnet werden müssen. Dann muss sofort gehandelt werden.

 

5. Entwickeln Sie fehlerroutinierte Arbeitsprozesse.

Mit den richtigen Methoden und Prozessen können Fehler in der Produktentwicklung sehr schnell und einfach entdeckt werden. Ein gutes Beispiel dafür ist die Continuous Integration, bei der separat entwickelte Anwendungselemente zeitnah zusammengeführt werden, sodass Fehlfunktionen schnell erkannt und Interventionen leichter möglich werden. Die Fehler- und Problembesprechung innerhalb der Retrospektive sollte ebenso selbstverständlich sein. Es gilt also, Methoden der Zusammenarbeit zu entwickeln, mit denen eine positive Routine im Umgang mit Fehlern eingeübt werden kann.

 

6. Ein Rat für alle Fehler: Achten Sie auf eine gründliche Fehlerauswertung.

Fehler müssen stets gut besprochen und für alle Beteiligten entsprechend erläutert werden. Denn nur so kann aus der Analyse der Ursachen ein entsprechender Lernerfolg für das gesamte Team abgeleitet werden.

Eine gute Visualisierung von Fehlern ermöglicht dabei auch eine Differenzierung im Blick auf die Fehleranzahl und die Teamgeschwindigkeit.
Bewährte Methoden können helfen, die Auswertung der Fehler zu strukturieren.

Anregungen Fehlerkultur3 Wege zur nachhaltigen Aufarbeitung von Fehlern

1. Root Cause Analyse: Die Root Cause Analyse (kurz RCA, auch Ursachenanalyse genannt) folgt der Grundannahme, dass es im Blick auf den Gesamtaufwand deutlich effektiver ist, grundlegende systematische Probleme zu erkennen und zu beheben, anstatt im späteren Verlauf permanent nur deren Symptome zu beseitigen.
Root Cause Analysen können dabei mit verschiedenen Methoden durchgeführt werden und verfolgen im Wesentlichen drei Ziele:

  • Erstes Ziel: Das Auffinden der zentralen Ursache des Problems.
  • Zweites Ziel: Die Erarbeitung von Lösungen, mit denen das Problem behoben und zukünftig verhindert werden kann.
  • Drittes Ziel (und nachhaltigste Wirkung der RCA): Die systematische Analyse der aus den ersten Zielen gewonnen Erkenntnisse und Ableitung konkreter Maßnahmen, um den entsprechenden Problemen zukünftig besser vorbeugen zu können.

 

2. 5-Why-Methode: Die 5-Why- oder auch 5-Warum-Methode ist eine der bekanntesten Methoden der Ursachenanalyse. Sie basiert auf der Grundannahme, dass fünf aufeinanderfolgende Warum-Fragen ausreichen, um bei einer vielschichtigen Problemlage die eigentlichen Gründe und Ursachen zu erkennen.

Dementsprechend ist die Anwendung der 5-Warum-Methode denkbar einfach: Auf jede beantwortete Warum-Frage wird eine weitere Warum-Frage gestellt. Dies geschieht so lange, bis sich alle Beteiligten darüber einig sind, dass die gegebene Antwort das eigentliche Übel des Problems benennt.

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3. A3-Methode: Die A3-Methode klingt nicht nur nach einem Papierformat, sie geht auch auf dieses zurück. So werden auf einem (meist standardisierten) Dokumentationsbogen in sieben Schritten verschiedene Fragen beantwortet, um so nach und nach die Ursachen eines Problems analysieren und Lösungen entwickeln zu können:

  • Hintergrund: Das Problem wird mit seinen Auswirkungen dargestellt, sodass dessen gesamte Tragweite deutlich wird.
  • Ist-Stand: Mit konkreten Zahlen aus dem Alltag wird der Umfang des Problems im Hier und Jetzt verdeutlicht. Oft können so schon erste Rückschlüsse auf die primären Ursachen des Problems abgeleitet werden.
  • Ziel: Alle Beteiligten verständigen sich über den angestrebten Zielzustand. Denn nur wenn dieser ausreichend geklärt ist, können auch entsprechende Lösungsschritte eingeleitet werden.
  • Ursachenanalyse: Durch die Visualisierung des Problems, meist in Form eines Fischgräten-Diagrammes, können dessen Kernursachen aufgedeckt und erkannt werden.
  • Gegenmaßnahmen: Anhand der Fragen Wer? Was? Wann? Wo? Wie? werden Maßnahmen zusammengestellt, mit denen das Problem gelöst und der Ist-Zustand nachhaltig verbessert werden kann.
  • Wirkung: Die unter Punkt 5 beschlossenen Maßnahmen werden evaluiert. Anhand möglichst konkreter Kennzahlen kann festgestellt werden, wie wirkungsvoll die einzelnen Maßnahmen waren.
  • Standardisierung: Nach einer Auswertung des gesamten Prozesses werden Maßnahmen festgelegt, mit denen Fehlern zukünftig standardisiert vorgebeugt werden kann. Eine gute Dokumentation stellt zudem sicher, dass auch andere Arbeitsbereiche auf die gewonnenen Erkenntnisse zugreifen können.

 

Ein einfaches Erfolgsrezept: Fehler + Offenheit = Chance

Niemand mag Fehler. Wer Fehler deshalb kleinredet oder gar übergeht, verschafft sich damit jedoch allenfalls eine kurze Verschnaufpause. Denn Fehler kehren wie ein Bumerang immer wieder zu ihren Verursachern zurück.
Der Achtsamkeit für eine mehrdimensional fehlertolerante Arbeitskultur sowie etablierten Prozessen im Umgang mit Fehlern kommt deshalb eine hohe Bedeutung zu. Gelingt dies, kann nicht nur den gravierenderen Auswirkungen von Fehlern vorgebeugt werden. Auch das Team wird langfristig weniger Fehler verursachen und durch ein Klima der Fehlertoleranz und Offenheit noch mutiger, innovativer und produktiver zusammenarbeiten.

 

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