20210820 Fehlerkultur 3

Felherfrei? Besser nicht! – Ein Mutmacher für eine dreifach fehlerfreundliche Arbeitskultur von Sven Schneider

„Ich habe einen Fehler gemacht.“ – Vielen Mitarbeitenden dürfte dieser Satz ziemlich schwer über die Lippen kommen. Denn für nicht wenige Menschen gehen mit einem Fehler Gefühle des Scheiterns, des Nicht-gut-genug-Seins oder sogar der Schuld einher.
Doch was sind die Gründe für derartige Empfindungen? Ein mangelndes Selbstbewusstsein, fehlendes Standing oder eine schwache Persönlichkeitsstruktur?
Oder ist es vielmehr das Fehlen einer fehlerfreundlichen (Arbeits-)Kultur? – Einer Kultur, in der Fehler nicht als Versagen oder gar als Katastrophe angesehen werden, sondern zunächst einmal als etwas ganz Alltäglich-Menschliches, das in Arbeitsgruppen und Teams genauso selbstverständlich vorkommt wie Erfolg, schlechte Laune oder die Vorfreude aufs Wochenende.

 

Fehler sind nicht gleich Fehler: die dreidimensionale Fehlerkultur

Um einen guten Umgang mit Fehlern einzuüben, erscheint zunächst eine Differenzierung hilfreich. Denn gerade in der Produktentwicklung sind Fehler nicht gleich Fehler.
So müssen die einzelnen Mitglieder einer Entwicklungsgruppe nicht nur – wie in jedem Team – den Umgang mit eigenen Fehlern und den Unzulänglichkeiten anderer einüben, sondern auch das Verhalten bei Fehlern, die per se zum Entwicklungsprozess dazugehören. Denn Softwareprodukte entwickeln, ohne sich mit Fehlern im Code auseinandersetzen zu müssen, das wäre zu schön, um wahr zu sein.
Grund genug also an einer alltäglichen, unaufgeregten und vor allen Dingen mehrdimensionalen Fehlerkultur zu arbeiten:

  1. Im persönlichen Umgang mit eigenen Fehlern und den persönlichen Fehlern von Teamkolleg*innen.
  2. Im Umgang mit Fehlern in der Kommunikation und der Teamstruktur.
  3. Im Umgang mit Fehlern am Produkt selbst.

 

1. Dimension: Der persönliche Umgang mit Fehlern

Den Fehler in der Überschrift haben Sie sicherlich sofort entdeckt. 
Vermutlich hat er sogar direkt Ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich gezogen.

Soweit so gut. Denn genau das ist typisch für Fehler oder besser gesagt für unseren Umgang damit: Fehler ziehen den Fokus auf sich.
Spannend wäre es aber, zu reflektieren, was Sie beim Anblick des Fehlers empfunden haben: Ein Überlegenheitsgefühl? Einen Angriff auf den Perfektionisten in Ihnen? Eine Irritation im Ordnungsempfinden: Das gehört sich so nicht?

Die Art, wie wir auf Fehler reagieren, sagt meist weniger über den Fehler und seinen Verursacher aus als vielmehr über uns selbst. Deshalb ist es wichtig, über den persönlichen Umgang mit Fehlern anderer, aber auch mit eigenen Fehlern nachzudenken:

Was lösen Fehler bei mir selbst aus und warum eigentlich?
Es lohnt sich dabei, an einer immer größeren Gelassenheit zu arbeiten.
Fehler sind normal, alltäglich und menschlich. Sie sollten uns deshalb nicht automatisch in eine innere Alarmstimmung versetzen.

Eine grundsätzliche Unterscheidung erscheint dazu hilfreich: Ziel eines souveränen Umgangs mit Fehlern ist es nicht, Fehler zu beschönigen. Fehler können gravierende Folgen haben. Deshalb gehören Fehler angesprochen. Denn nur so kann daraus auch ein entsprechender Lernerfolg gezogen werden.
Wichtig ist es jedoch, stets zwischen der sachlichen Fehleranalyse und dem Umgang mit dem Fehlerverursacher zu unterscheiden. Der Fehler gehört kritisiert und analysiert, der verursachende Mensch aber verdient weiterhin Respekt, Empathie und Augenhöhe.

Fehlerkultur

2. Dimension: Der Umgang mit Fehlern im Team

Wo an neuen Produkten gearbeitet wird, sind zwei wesentliche Faktoren unabdingbar:
Innovative Ideen und Experimentierfreude. Damit beide wachsen können, erscheinen vor allem drei der fünf Grundpfeiler der Agilität besonders hilfreich: Mut, Offenheit und Respekt.

  • Mut: Teammitglieder werden sich nur trauen, mutig neue Wege zu betreten, wenn sie im Falle des Scheiterns nicht mit negativen Folgen zu rechnen haben. Das lässt eine klare Konsequenz zu: Fehler und Scheitern sind Teil jedes mutigen und innovativen Entwicklungsprozesses. Sie passieren bei der eigentlichen Arbeit, aber auch in der Kommunikation und im alltäglichen Miteinander, vor allem dann, wenn Teams neu zusammengesetzt werden und sich erst als Team zusammenfinden müssen.
    Weil Fehler also ein selbstverständliches Merkmal mutiger Teams sind, sollte auch der Umgang mit ihnen von einer großen Selbstverständlichkeit zeugen.
  • Offenheit: Agile Entwicklungsteams tun gut daran, an einer Kultur der Offenheit zu arbeiten. So sollte das offene und sachliche Gespräch über Fehler und Probleme ein natürlicher Bestandteil jeder Retrospektive sein. Nur so können aus jedem Fehler entsprechende Konsequenzen und Learnings gezogen werden. Das Team kann dadurch an Fehlern reifen und einen unaufgeregteren Umgang mit Fehlern einüben. Schließlich gibt es einen verlässlichen Ort, an dem Fehler und ihre Konsequenzen offen thematisiert werden können.
  • Respekt: Es gibt kaum einen größeren Gewinn für ein Team als ein Klima, in dem sich alle Mitarbeitenden trauen, Fehler zuzugeben. Damit dies gelingt, müssen sich alle Teammitglieder jedoch sicher sein können, im Fall eines Fehlers nicht vor einem emotionalen Tribunal zu enden. Dieses kann sehr vielfältige Facetten haben, vom offenen Angriff über Zynismus bis hin zu kleinen Lästereien und sogar freundlich gemeinten Hänseleien. Respekt, Augenhöhe und das Grundvertrauen, dass alle im Team nach bestem Gewissen handeln, scheinen deshalb die bedeutendsten Faktoren zu sein, damit ein fehlerfreundliches Klima reifen kann. Zudem ist auch die Einsicht wichtig, dass Fehler in der Kommunikation meist mehr als einen Verursacher haben.

Für ein fehlertolerantes Miteinander im Team sind neben Mut, Offenheit und Respekt auch Verständnis und Empathie von großer Bedeutung. Verursacht beispielsweise ein Teammitglied durch sein Verhalten immer wieder Fehler oder Probleme, so ist es sinnvoll, nach den Hintergründen und Ursachen für die entsprechende Verhaltensweise zu fragen. In diesem Zusammenhang lehrt auch die Systemtheorie, dass vordergründig als unorthodox erscheinende Verhaltensweisen häufig eine Lösungsstrategie für das eigentliche Problem darstellen, das oft im Verborgenen liegt und der eigentliche Grund des Übels ist.

(Beispiel: Ein Entwickler verursacht immer wieder Fehler, wirkt daher auf den ersten Blick unkonzentriert und nicht ganz bei der Sache. In einem vertrauensvollen Gespräch stellt sich schließlich heraus, dass der Entwickler alles andere als halbherzig arbeitet, sondern unter einem großen Druck durch die Geschäftsführung leidet.)

 

3. Dimension: Der Umgang mit Fehlern am Produkt

In der Entwicklung von Softwareprodukten gibt es neben eigenen Fehlern und dem Umgang mit Fehlern im Team und Teamprozessen noch eine dritte besondere Herausforderung: die Fehler am Produkt selbst, die zum Wesen jedes Entwicklungsprozesses gehören.
Fehlt ein souveräner Umgang mit derartigen Fehlern, sodass diese unterschätzt und verschleppt werden, kann dies den gesamten Prozess ausbremsen oder sogar blockieren.
Sind Entwicklungsteams dagegen in der Lage, routiniert mit Fehlern umzugehen, so nützt dies nicht nur dem Entwicklungsprozess selbst, auch das Team selbst kann durch Fehler lernen und so immer leistungsfähiger werden.

 

Im Blogbeitrag „Vom Fehler im System zum Fehler mit System“ lassen sich sechs Anregungen finden, mit denen Teams einen sicheren und positiven Umgang mit Fehlern am Softwarecode trainieren können.
Dieser kann helfen, eine fehlertolerante Arbeitshaltung einzuüben, von der letztlich nicht nur das Produkt selbst, sondern auch das Entwicklungsteam profitieren wird.

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