20200909 Kosten 1

Fokussieren, priorisieren, optimieren – Kosten als hilfreiche KPI in agilen Projektverläufen von Sven Schneider

Agiles Arbeiten ist in. Dennoch wird die Agilität bis heute von einem Imageproblem geplagt: Die flexible Arbeitsweise agiler Teams wird häufig als schwer kalkulierbar dargestellt, sodass Kosten nur schwer abgeschätzt werden können.
Doch das Gegenteil ist der Fall. Denn der Kostenrahmen ist in agilen Projekten keine störende Begrenzung, die notgedrungen eingehalten werden muss, um die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens nicht zu gefährden, sondern eine hilfreiche KPI für Stakeholder und Team. Ziele fokussieren, Interessen priorisieren, Abläufe optimieren: Dazu bietet der Kostenrahmen in agilen Projekten eine wertvolle Hilfe in allen Phasen der Produktentwicklung. 

 

Kostenüberlegungen vor Projektstart: Was und warum möchte ich investieren?

Ein Projekt, das mehr kostet, als es an Kosten einspart oder an Gewinn generiert, ist unrentabel. Dieser Grundsatz gilt auch für Innovationsprojekte, bei denen die Betrachtung der Rentabilität längerfristiger erfolgen muss. So ist es selbstverständlich, dass die Planung der Kosten am Beginn aller Projekte – ob agil oder nicht agil – eine zentrale Rolle spielt.
Um das Budget für ein Projekt festzusetzen, sollte deshalb immer die Frage gestellt werden: Was möchte ich mit einem neuen Produkt erreichen und was bin ich bereit, dafür zu investieren?
Dabei kann eine einfache Methode eine große Wirkung entfalten: Das Matrixspiel

Das Matrixspiel

Das Matrixspiel bietet die Chance, die Features eines neuen Produktes im Blick auf ihre Wichtigkeit zu priorisieren. Dabei beantwortet jedes Teammitglied anhand der persönlichen Erfahrungen die folgenden Fragen:

- Welches Feature wird für das neue Produkt unbedingt benötigt?

- Was kostet die Realisierung dieses Features der Erfahrung nach?

- Welchen Kostenanteil der geplanten Gesamtsumme darf das Feature beanspruchen?

Die gemeinsame Erörterung der genannten Fragen liefert so wertvolle Indizien darüber, welcher Aufwand tatsächlich notwendig ist, um ein ebenso sinnvolles wie effizientes Projektergebnis zu erzielen.

Da neue Produkte nicht im „Reinlabor“, also isoliert von anderen Prozessen im Unternehmen, entwickelt werden, ist es notwendig, für die Kostenschätzung Abteilungsgrenzen und Silodenken zu überwinden:

  • Unternehmensinteressen vor Abteilungsinteressen: Da in vielen Unternehmen häufig mehrere Produkte bzw. Projekte gleichzeitig in Angriff genommen werden, ist es wichtig, für Solidarität und Toleranz zwischen den Abteilungen zu werben, um nicht die Produkte der Abteilung zu priorisieren, die am lautesten auf sich aufmerksam macht, sondern die Produkte zu fördern, die am vorrangigsten für das Wohl des gesamten Unternehmens sind.
  • Total Cost of Ownership: Bei der Entwicklung von Produkten sollten nicht nur die Kosten für das Entwicklungsteam berücksichtigt werden, sondern auch Kosten, die das Produkt im gesamten Unternehmen verursacht. So fallen z. B. Kosten für das Marketing oder den Vertrieb an, aber auch direkte und indirekte Personalkosten für spätere Projektadministratoren. Die Summe aller Kosten bezeichnet man als Total Cost of Ownership (TCO).

Diese Projektkosten sollten Sie nicht übersehen:

  • Kosten für interne Mitarbeitende: Bei der Kostenplanung für neue Projekte legen viele Unternehmen den Fokus vor allem auf externe Personalkosten, übersehen dabei aber den Wert der Arbeitszeit hausinterner Mitarbeitenden. Nicht selten werden dann interne Mitarbeiter*innen mit Fleißaufgaben beauftragt, weil beispielsweise die Implementierung einer Automatisierung durch externe Dienstleister als zu kostspielig angesehen wird. Ein Trugschluss, der nicht nur zum Ballast für interne Mitarbeitende werden kann, sondern auch die tatsächlichen Projektkosten verschleiert.
  • Kosten für Schulungen: Es ist ärgerlich, wenn ein neues Produkt im Rahmen des Budgetplans realisiert wurde, dann aber Geldmittel für die Schulung der Mitarbeiter*innen fehlen. Schulungskosten sollten daher zwingend im Budgetplan erfasst werden, um die Performance des neuen Produktes durch gut geschulte Mitarbeitende nachhaltig nutzen zu können.
  • Sachmittelaufwand: Auch wenn sich die Kosten für Arbeitsmittel gerade bei IT-Projekten häufig in einem überschaubaren Rahmen halten, da nur selten projektspezifisches Equipment angeschafft werden muss, so sollten auch dieser Kostenpunkt nicht aus dem Blick geraten.
  • Kosten für externe Dienstleistungen: Bei der Kalkulation externer Kosten sollte nicht nur der Aufwand für die externen Dienstleister selbst beachtet werden, sondern auch die entsprechenden Nebenkosten z. B. für das Treffen von Absprachen und Vereinbarungen oder die buchhalterische Abwicklung der Dienstleistungen.
  • Weitere Projektkosten: Gerade bei IT-Projekten, bei denen häufig externe Features, Schnittstellen und Frameworks zugekauft werden, sollten entsprechende Software- und Lizenzkosten, aber auch weitere Projektkosten, wie Kosten für die rechtliche Beratung, berücksichtigt werden. 

 

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Kostenüberlegungen im Projektverlauf: Die Zielerreichbarkeit im Blick

Neben der Überwachung agiler KPIs, wie der Velocitiy oder den Burn Up Charts und Burn Down Charts sollte auch die Überwachung des Budgets eine Selbstverständlichkeit beim Rückblick auf abgeschlossene bzw. bei der Planung neuer Sprints sein.
Dazu drei zentrale Gedanken:

  1. Finanzielle Begrenzungen sind kein Störfaktor, sondern eine Chance:
    Begrenzte Projektmittel helfen, das Team immer wieder auf die Kernziele des Prozesses zu fokussieren und ein Verzetteln in Nebenschauplätzen zu vermeiden. Daher sollte es das Ziel aller am Projekt Beteiligten sein, sich für die Einhaltung der Budgetgrenzen mit verantwortlich zu zeigen und eine Budgeterhöhung nur bei stark veränderten Parametern, wie neuen oder stark veränderten Rahmenbedingungen, ins Spiel zu bringen. 
  2. Luftschlösser helfen niemandem:
    Kosten sollten immer kritisch realistisch eingeschätzt werden. Denn allzu optimistische Schätzungen und Wunschvorstellungen können im Projektverlauf zu einem kostspieligen Problem werden. Laufen Kosten aus dem Ruder oder überschreitet das Projekt die Grenzen der Sinnhaftigkeit, sollte dies daher immer offen angesprochen kommuniziert werden, damit entsprechende Konsequenzen gezogen werden können, z. B. durch das Streichen von Features am Produkt.
  3. Budgeteinhaltung nicht mit aller Gewalt:
    Wer Projektkosten verwaltet, sollte nicht nur realistisch, sondern immer auch mutig agieren. So können sich im Projektverlauf immer wieder neue Chancen oder sogar neue Projektziele ergeben. Dann sollte auch das Budget betrachtet und bei Bedarf angepasst werden.

Magic Estimation

Anders als Projekte nach dem Wasserfallmodell arbeiten agile Projekte nicht mit klassischen Pflichtenheften, in denen alle Anforderungen detailliert erfasst sind. Dies verleiht dem agilen Arbeiten eine besondere Flexibilität, birgt jedoch auch das Problem einer gewissen Unsicherheit, weil sich Anforderungen im Projektverlauf immer wieder verändern können.
Um den benötigten Aufwand und die damit verbundene Kostenentwicklung dennoch bestmöglich abzuschätzen, hat sich in agilen Teams die Methode der Magic Estimation etabliert.

Sie baut auf die Erfahrung der anfordernden und umsetzenden Seite, die es möglich macht, verschiedene Anforderungen mit Blick auf den Aufwand und das Risiko zu bewerten und zu beschreiben. So ist es z. B. absehbar, dass eine Fleißarbeit wie das Einpflegen von bestehenden Daten einen hohen Aufwand, aber ein geringes Risiko bedeutet. Umgekehrt kann die Etablierung einer komplett neuen Produktfunktion sehr riskant sein, weil technische Probleme zu erwarten sind, auch wenn sich der eigentliche Aufwand selbst in Grenzen hält.
Die so ermittelte Bewertung der Anforderungen im Blick auf Anforderung und Risiko macht es möglich, die Komplexität des Projektes abzuschätzen, eine sinnvolle Teamstruktur zu gestalten und anhand der daraus zu erwartenden Velocity einen Zeit- bzw. Kapitalbedarf zu ermitteln.

 

Kostenüberlegungen zur Projektperspektive: Sinnhaftigkeit

Wer Projekte nicht mit aller Gewalt ohne Rücksicht auf Verluste bzw. Kosten durchsetzen will, der sollte die einmal gefassten Zielvorgaben und das Budget regelmäßig einer kritischen Prüfung unterziehen. Zeigt es sich, dass Kostenplanungen immer wieder nachjustiert werden müssen, so kann dies ein guter Hinweis darauf sein, dass versteckte „Geldfresser“ oder „Kostentreiber“ das Projekt gefährden. Der regelmäßige Blick auf Ziele und Kosten kann so zeigen, ob sich der Entwicklungsprozess in einem guten Rahmen befindet, Nachjustierungen notwendig werden (z. B. durch das Streichen von Features) oder die Sinnhaftigkeit des Projektes grundsätzlich infrage gestellt und ein Abbruch des Projektes in Erwägung gezogen werden muss.

Sunk Cost Fallacy

Gerade große Projekte stehen immer wieder in der Gefahr, in eine Kostenfalle zu tappen, wenn Projektziele nicht mehr hinterfragt und das Projekt unter allen Umständen realisiert werden soll. Ein selbstkritischer Blick auf die gesetzte Strategie und eine drohende Sunk Cost Fallacy ist daher immer empfehlenswert.
Lesen Sie dazu mehr in unserem Beitrag zum Strategischen Optionsraum in agilen Projekten.

 

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