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Elendsrolle aus Leidenschaft? – 10 Plagen, mit denen jeder Scrum Master zu kämpfen hat von Sven Schneider

Eines vorab: Das Leben als Scrum Master ist wunderschön. Denn Scrum Master haben nicht nur die Gelegenheit, Veränderungen zu gestalten, sie sind auch eine wertvolle Vertrauensperson in jedem Entwicklungsteam – vorausgesetzt, man lässt sie. 
Denn immer wieder wird die Arbeit von Scrum Mastern wissentlich oder unwissentlich torpediert. Das Dasein als Scrum Master erfordert also nicht nur professionelles Können, sondern auch Geduld, Gelassenheit und die Fähigkeit, Teamprozessen und auch dem eigenen Tun mit einem Augenzwinkern zu begegnen.
10 Sätze, die kein Scrum Master gerne hört, geben einen Überblick zu den 10 Scrum-Master-Plagen. 

 

1. Plage: „Das steht so aber nicht im Scrum Manifest!“ – Agile Prinzipienreiterei

Die Agilität scheint Prinzipienreiter magisch anzuziehen. Jedenfalls lassen sich in Projektgruppen und Arbeitsteams immer wieder Menschen finden, die mit großem Eifer für die Einhaltung vermeintlich agiler Prinzipien kämpfen.
Wird eine User Story nicht wie aus dem Lehrbuch beschrieben, ist das Drama selbst bei erfahrenen agilen Teammitgliedern oder sogar bei manch einem Scrum Master groß. Dabei ist Scrum weitaus weniger dogmatisch, als dies oft angenommen wird. Agile Strukturen sollen eben genau eines ermöglichen: Agilität und Flexibilität.
Zudem ist Agilität nicht zuerst eine Theorie, sondern vor allem eine gelebte Praxis, die auf die Bedürfnisse von Unternehmen und Team abgestimmt werden muss.

 

2. Plage: „Das war aber schon immer so!“ – Agiler Stillstand

Eng verwandt mit der ersten Plage ist die zweite: der verbale Totschläger „Das haben wir aber schon immer so gemacht.“. Scrum ist nicht Stillstand, es lebt von der begründeten Intervention. Fehlt diese, laufen Unternehmen Gefahr, in die nächste einengende Struktur zu rutschen, die dann zwar „agil“ heißt, es ihrem Wesen nach aber nicht mehr ist.  

 

3. Plage: „Dann muss es halt ohne Scrum Master gehen!“ – Sinnlose Sinndiskussionen

Haben Sie schon einmal erlebt, dass sich ein Change-Manager für seine Existenz im Unternehmen rechtfertigen muss? Scrum Master müssen das immer wieder – leider!

Denn nicht wenige Projektverantwortliche glauben, bei Sparzwängen einfach die Rolle des Scrum Masters streichen zu können, sei es, weil sie Aufgaben des Scrum Masters kaum oder überhaupt nicht kennen oder aber weil sie den Wertbeitrag des Scrum Master nicht wahrnehmen (können). Schließlich lässt sich die Werthaltigkeit einer „Lieferung“ weitaus schlechter erfassen als der Blick auf die reine Arbeitsmenge, wie z. B. auf geleistete Story Points oder erledigte Features.
Doch Vorsicht: Arbeitet ein Team effizient und werthaltig, so ist dies häufig auf die gute Arbeitsleistung des Scrum Masters zurückzuführen.

Dies führt nicht selten zu einem Paradox: Je besser der Scrum Master arbeitet, umso eher wird über die Notwendigkeit seiner Arbeit diskutiert.

 

4. Plage: „Stellst Du dann den Termin rein?“ – Ignorante Rollenunklarheiten

Die vierte Plage besitzt eine große Nähe zur dritten, denn nicht nur die Projektverantwortlichen wissen häufig zu wenig von der Rolle des Scrum Masters, sondern auch die Teammitglieder. So kommt es immer wieder vor, dass der Scrum Master mit einer Projektassistenz verwechselt wird, die vorwiegend Termine plant oder für die Dokumentation verantwortlich ist. Wieder anderen erscheint der Scrum Master lästig, weil er vermeintlich störende Fragen stellt. Dabei kann gerade der Scrum Master zu einer wichtigen Vertrauensperson werden, die Dinge bewegen, Probleme beseitigen und als „Behüter des Teams“ fungieren kann.

 

5. Plage: „Der kommt bestimmt mit der Klangschale.“ – Nervende Klischees

Ja, es gibt sie, die Scrum Master, die jede Retrospektive mit einer kurzen Klangschalenmeditation eröffnen. Allerdings gehört die Klangschale deshalb längst nicht zum Standardrepertoire von Scrum Mastern. Vielmehr sind die Methoden, mit denen Scrum Master z. B. Retrospektiven eröffnen oder Dokumentationen visualisieren vermutlich so vielfältig, wie die Scrum Master selbst. Der Kampf gegen Klischees und Stereotypen ist deshalb vor allem eines: ziemlich nervig.

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6. Plage: „Das hätten wir mit einem Wasserfall-Model aber genauso geschafft.“ – Rechthaberische Grundsatzdiskussionen

Agil ist in aller Munde. Kein Wunder also, dass die agile Arbeitskultur auch etliche Kritiker auf den Plan ruft. Anstrengend werden solche Kritiker immer dann, wenn sie Sachdiskussionen in Grundsatzdiskussionen über den Sinn oder Unsinn agiler Arbeitsmodelle abgleiten lassen oder rechthaberisch darauf bestehen, dass das Ziel auch ohne agiles Arbeiten erreicht worden wäre. Unter Umständen mag das sogar stimmen. Immer stimmt aber, dass derartige Diskussionen vor allem den Scrum Master viel Zeit und Nerven kosten, letztlich aber kein bisschen weiterhelfen und die Produktivität senken.

 

7. Plage: „Da muss ich erstmal nachfragen.“ – Produktlose Product Owner

Man dürfte meinen, das Wort „Product Owner“ ist ebenso einfach zu übersetzen, wie zu verstehen: Produktbesitzer. Dennoch gibt es nicht wenige Product Owner, die das „Owner-Sein“ überlesen. Sie kämpfen zu wenig für ihr Produkt und übernehmen erst recht keine Verantwortung. Ihr Verhalten gleicht deshalb eher dem eines Produktmanagers als dem eines Produktbesitzers, der Chef und Entscheider für sein Produkt ist.

 

8. Plage: „Muss ich was sagen?“ – Schweigende Retrospektiven-Beisitzer

Selbst in erfahrenen Teams ist oft das Phänomen zu beobachten, dass einige Teammitglieder den Sinn der Retrospektive nicht verstehen oder sogar der Meinung sind, dass man sich diese sparen könnte, sobald die Prozesse gut laufen. Häufig sitzen solche Teammitglieder still in der Runde und lassen sich nur mühsam zur Teilnahme bewegen.  

Eine vertane Chance und ein mitunter fataler Irrtum, da auch gut funktionierende Teams immer wieder in unruhige Fahrwasser geraten können. Zudem dient die Retrospektive nicht zuerst der Problembewältigung, sondern fungiert vielmehr als Hilfe, um den Alltag und das Miteinander im Team angenehmer zu gestalten. Es lohnt sich also, Skepsis und Sturheit zugunsten einer positiveren Arbeitskultur zu überwinden.

 

9. Plage: „Außerdem wollte ich gerne noch auf folgende Veränderungen hinweisen.“ – Themaverfehlende Retrospektiven-Monologe

Das Gegenstück zum schweigsamen Retrospektiven-Teilnehmer ist der „Retrospektiven-Prediger“. Er lässt sich besonders häufig unter Projektverantwortlichen finden. Die Retrospektive ist für ihn die Gelegenheit, um endlich seine Themen und Änderungsziele zu platzieren. Mit seinen Monologen ist er allerdings nicht nur sehr anstrengend, er nimmt sich auch die Chance zum Zuhören, um mehr über die Entstehung des Produktes zu erfahren.

Einen Satz, den man vom „Prediger“ leider selten hört: Was kann ich (bzw. das Management) für euch tun?     

 

10. Plage: „Projektmanager!“ – Irreführende Bezeichnungen

Spitznamen können ja ganz lieb gemeint sein. Und: Scrum Master sind keine Spaßbremsen.

Spitznamen wie „Scrummer“, „Scrummie“ oder „Scrumdog Millionaire“ können also durchaus klargehen. Nicht lustig sind dagegen Namen, die – egal ob wissend oder unwissend verwendet – falsche Vorstellungen manifestieren. Ein Scrum Master ist nicht einfach nur ein agiler Projektmanager. Denn im Gegensatz zum Projektmanager, dessen primärer Fokus der organisatorische Rahmen ist, fokussiert sich der Scrum Master vor allem auf das Team, von dem aus sich unterstützende organisatorische Aufgaben ableiten lassen. Ebenso ist der Scrum Master nicht mit einem Agilen Coach gleichzusetzen. Denn während der Agile Coach für die Implementierung agiler Strukturen in die Unternehmensstruktur und -kultur verantwortlich ist, fokussiert sich der Scrum Master auf die Umsetzung von Scrum im Team und erweist sich so erneut als echtes Rückgrat für jedes agile Team.

 

10 Plagen, doch nichts zu klagen?

Scrum Master, also eine Rolle zum Davonlaufen? Zugegeben: Der Blick auf die (natürlich überspitzt dargestellten) Scrum-Master-Plagen könnte Fluchtgedanken nahelegen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Denn Scrum Master treten den „10 Plagen“ alles andere als wehrlos gegenüber. So kann eine solide Portion Verständnis und Klarheit meist auch dem stärksten Prinzipienreiter die Bedenken nehmen. Eine solide Arbeitsleistung zeigt selbst skeptischen Stakeholdern, wie unersetzlich die Rolle des Scrum Masters tatsächlich ist. Mit Rollenunklarheiten, Klischees und falschen Spitznamen lässt sich im Lauf der Zeit durch eine partnerschaftliche Zusammenarbeit aufräumen. Selbst bei „besitzlosen Product Owern“, „Retrospektiven-Ver(sch)weigerern“ und „Retrospektiven-Predigern“ ist längst noch nicht Hopf und Malz verloren, wenn sie durch das Servant Leadership des Scrum Masters nach und nach die Vorteile der Zusammenarbeit mit dem „Scrummie“ erleben dürfen.

 

* Um den Lesefluss im Text zu verbessern, haben wir in diesem Blogbeitrag nur die männliche Sprachform verwendet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten aber selbstverständlich für alle Geschlechter.

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